Von einer Reise im März 2023 bringe ich Eindrücke mit, die ich nicht für mich behalten kann.
GERASA, 21.03.2023
Eine größere, prächtigere und besser erhaltene römische Ruinenstadt ist außerhalb Italiens schwerlich zu finden: Gerasa im Norden Jordaniens. Die heutige Stadt heißt Jerash und verbirgt wohl noch weitere Teile der antiken Stadt. Die fehlende Bereitschaft der Land- und Stadtväter, bewohnte Häuser zum Zwecke weiterer Ausgrabungen abzureißen, scheint, jedenfalls einstweilen, die Anerkennung dieses großartigen Ortes als Weltkulturerbe zu verhindern. In einem Land, das für fast zwei Millionen Flüchtlinge aus der Region Häuser und Wohnungen gebaut hat, ist das nicht zu verstehen.
DANA-Biosphärenreservat, 23.03.2023
Eine traumhafte Felsenlandschaft, die einen Vorgeschmack auf Petra bietet. Hier könnte man sich auch gut die in die Felsen gemeißelten Köpfe des jordanischen Königshauses vorstellen, die ansonsten im Land omnipräsent sind.
PETRA, 24.03.2023
Petra Felsen, die schon aussehen, wie menschengemachte Bauwerke, Felsen mit natürlichen Öffnungen, die an Fenster und Türen erinnern, Felswände, die mit ornamentalem Reliefschmuck, mit Simsen, Friesen und Pilastern überzogen zu sein scheinen - dass der Mensch hier auf die Idee kam, der Natur ein wenig nachzuhelfen und tatsächlich die Felsen in seinem Sinne weiterbearbeitet hat, kann nicht verwundern. Dem Wunsch nach Klarheit, Geradlinigkeit, Strenge, Ordnung, Symmetrie, seiner Vorstellung von Schönheit entsprechend, musste er hier einfach nachkommen, er hatte keine Wahl. Warum etwas Neues bauen, das an die Größe und Pracht der vorhandenen Natur-Architektur niemals heranreichen würde?
Im Siq, der schmalen Zugangsschlucht ins antike Petra, ist man nicht allein, auch wenn es das eine oder andere Foto suggerieren mag. Und wer in die Schlucht hineingeht, der kommt auch wieder heraus, im allgemeinen mit andächtig staunenden Augen und hochgereckter Handykamera und steht bewundernd, fassungslos oder entzückt vor der gewaltigen Fassade des "Schatzhaus" genannten Grabtempels, - oder ist unangenehm berührt von der plötzlichen Erkenntnis, Teil des Massentourismus' zu sein, der auch Jordanien nicht verschont.
Man freut sich hier zu sein, doch schöner wäre es allein? Muss man Petra mit eigenen Augen gesehen haben? Kann man diese überwältigenden Eindrücke nicht auch auf andere Weise erlangen? Ist diese antike Felsenstadt nicht schon viel zu oft fotografiert worden? Kann man irgendeinem dieser Menschen, die wie ferngesteuert hinter ihren Kameras her traben oder wie auf Kommando vor ihren Kameras posieren, böse sein, dem eigenen Foto im Weg zu stehen? Muss man nicht eigentlich jedem einzelnen dieser zahllosen Touristen gratulieren, hierhin gekommen zu sein? Kann man einfach stolz und glücklich sein, hier etwas Einzigartiges sehen zu dürfen?
Wo hört die Schaffenskraft der Naturgewalten auf und wo fängt die menschliche Bearbeitung an? Die Felspartien geben die Struktur, Form und Größe der Fassaden vor. Das Planieren der Felsenoberflächen, das Verstärken der rechten Winkel, das Herausschlagen der Tür-Rechtecke und das Aushöhlen des Gesteins zu einer Grabkammer dahinter, das Anbringen der Treppenornamente, das war die Arbeit des Menschen. Seine wirkliche Pionierleistung aber war es, diese Möglichkeiten zu erkennen, die Architektur in der Natur zu sehen. Der Rest war Handwerk, gutes, schweres, aufwändiges Handwerk.
Dass sich die Natur nicht alles gefallen lässt, sondern gelegentlich zurückschlägt, sieht man an den höhlenartigen Öffnungen. Da hat der Mensch vielleicht etwas zu viel gewagt, vielleicht die Festigkeit des Gesteins überschätzt, vielleicht die Kräfte der Erde unterschätzt. Wie dem auch sei, letztlich arbeitet die Zeit nicht gegen diese perfekte Symbiose natürlicher und menschlicher Schaffenskraft, sondern ergänzt sie um die auch vom Menschen immer mitgedachte vierte Dimension. Die Behausungen der Nabatäer sind verschwunden, aber die Kammern für ihre Toten, gemeinsam gemacht von ihnen und der Natur, überdauern. Und dass die Grabkammern in späteren Zeiten von Menschen einer anderen Kultur als Behausung genutzt wurden, passt, ähnlich wie die natürlichen Veränderungen durch Erdbeben und Erosion, in das uralte und neue Bild der Felsenstadt Petra.
Kleine, aber willkommene Schwarzweiß-Pause, das Auge lechzt nach Farbe, bitteschön!
KLEIN-PETRA – PETRA, 25.03.2023
WADI RUM, 26./27.03.2023
Ruhe, Abgeschiedenheit, Beschaulichkeit, Einsamkeit sind auch im Wadi Rum keine Selbstverständlichkeit. Selbstverständlich muss man heute diese herrliche Landschaft mit vielen anderen Menschen teilen. Viele Fahrspuren im Sand. Wo führen sie hin? Zum Beispiel zu den zahlreichen Zeltcamps am Fuße der Felsen. Und zu einigen Foto-Hotspots, zu denen anscheinend alle Touristen gebracht werden müssen. An der "großen Brücke" stehen wie aus dem Nichts plötzlich Dutzende Geländewagen und Menschenscharen drängeln sich auf dem Felsen, auf dem sie unbedingt fotografiert werden müssen. Wadi Rummel.
An dieser Düne ist es ähnlich. Man muss als Wadi Rum-Tourist anscheinend diese Düne bestiegen haben, und die meisten schlurfen auch mühsam und brav durch den rutschigen Sand hinauf. Nur ganz wenige steigen dann aber weiter hinauf auf den Felsen und bis zu seinem Gipfelplateau. Glücklicherweise, denn plötzlich ist man wieder allein. Die Autos, die Menschen, die Zelte, die Kameltreiber, alles ist auf einmal weg, unsichtbar, keine Motorengeräusche, keine Stimmen, kein Rufen, kein Lachen. Unverhofft findet man ein Stückchen Einsamkeit wieder und ist tatsächlich allein mit dieser unglaublichen Landschaft und dieser unfassbaren Weite.
Das Wadi Rum und das Gefühl der Weite Ist der Gedanke absurd, sich diese Landschaft vorzustellen wie die Alpen, vielleicht die Dolomiten, die man bis zur Baumgrenze mit rötlichem Sand zugeschüttet hat? Könnte man sich umgekehrt das Wadi Rum auch ohne Sand vorstellen, und wäre es dann so ähnlich wie die Alpen und hätte dunkle und enge Täler? Aber dieser Sand ist hier und er prägt diese Landschaft mit seinen riesigen, ebenen, fast glatten Flächen, aus denen unvermittelt die senkrechten Felswände herausragen. Ist das der Grund, warum wir hier die Weite und Größe der Landschaft so überwältigend erfahren? Weil wir, kaum größer als ein Sandkorn, hier den Gipfeln und dem Himmel so viel näher sind? Weil das Auge hier von Berg zu Berg über die Sandflächen hinweg immer weiter in eine unermessliche Tiefe gezogen wird? Weil es hier genügt, einen kleinen Felsenhügel hinaufzusteigen, um sich zu fühlen wie auf einem Dreitausender? Weil wir hier verblüfft irgendwo in der Ferne ein seltsam kleines Auto entdecken, das uns unsanft aus einer entrückten Zeit in die Gegenwart zurückholt, uns aber auch in seiner hoffnungslosen Winzigkeit die phantastische Größe der Landschaft vor Augen führt, - und vielleicht ein paar Maßstäbe zurechtrückt?
Felswände und ganze Berge scheinen mit Ornamenten und Schriftzeichen, die sogar ordentlich in Zeilen angeordnet sind, überzogen zu sein. Geheime Botschaften der Natur, noch nicht entziffert, noch nicht lesbar, weder von links nach rechts, noch von rechts nach links. Felsen, die aussehen wie imposante Tempelanlagen einer großen, aber untergegangenen Kultur. Das behutsam, fast schüchtern angelehnte Häuschen scheint sich seiner eigenen Bedeutungslosigkeit bewusst zu sein.
Die Wüste lebt. Eindrucksvoll geformte Felsen ragen recht finster aus dem Wüstenboden. Erst bei der Bearbeitung des Fotos habe ich die fünf Kamele und gut 100 Schafe entdeckt, - und erneut gestaunt über die Größe und Weite dieser Landschaft.
Sagen wir es mit den Worten des gerne in Sachen Wadi Rum zitierten T. E. Lawrence, der hier einen Teil seiner fragwürdigen Aktionen durchgeführt hat und der als Filmheld später ungewollt die Landschaft weltberühmt machte: "Unsere kleine Karawane wurde nachdenklich, und keiner sprach mehr ein Wort; man fühlte sich beängstigt und beschämt, sich mit seiner Geringfügigkeit breit zu machen inmitten dieser riesenhaft ragenden Berge." Dem ist nichts hinzuzufügen.